Japan und die Lebenskunst Ikigai

✨Vielleicht wunderst du dich, dass ich heute mal nicht über das positive Älterwerden schreibe, sondern über eine Reise, die mich sehr bewegt hat. 

Vor einer Woche bin ich von einer dreiwöchigen Japanreise 🇯🇵 zurückgekommen. Und dieses Land hat etwas mit mir gemacht. Diese völlig andere Kultur. Auf der einen Seite faszinierend, auf der anderen Seite befremdlich. Eine Kultur, die sich vor allem in der Phase einer über 250 – jährigen Isolation des Landes (1603 – 1868) entwickelt hat und die Japan bis heute prägt. Auch wenn die „Verwestlichung“ in diesem und letzten Jahrhundert Einzug gehalten hat, sind die Japaner*innen doch weiter der japanischen Lebenskunst des „Ikigai“ verbunden. 

🏮Ikigai ist ein japanischer Begriff, der die Freuden und den Sinn des Lebens beschreibt. „iki“ bedeutet Leben und „gai“ Sinn.

Diese Lebenskunst fußt auf fünf Säulen:

  1. Klein anfangen – und mit Neugier und Interesse etwas weiterentwickeln bis zur Vollkommenheit
  2. Loslassen von Erwartungen, vor allem nach Anerkennung und Erfolg
  3. Harmonie und Nachhaltigkeit leben – Respekt für die Natur, Rücksichtnahme auf andere Menschen und die Gesellschaft
  4. Freude an den kleinen Dingen
  5. Leben im Hier und Jetzt

Auf dieser spannenden Reise nach Japan war ich immer auf der Suche nach „Ikigai“. Würde ich es im modernen Japan finden? 

Wie leben die Japaner*innen ihr Ikigai in der heutigen Zeit?

Wie ich empfinde ich die japanische Lebensart, was macht es mit mir?

Was nehme ich von dieser Reise und der Lebensart mit in mein Leben?

Die erste Säule „Klein anfangen“ ist mir in vielen japanischen Restaurants 🥢 begegnet. Oft sitzt man in den kleinen individuellen Räumen an einer Theke und schaut den Köchen beim Zubereiten der Speisen zu. Mit voller Konzentration gehen sie ihrer Tätigkeit nach, egal ob sie eine Pizza machen (die ist übrigens in Japan besonders lecker), oder Fisch schneiden für Sushi 🍣 oder Sashimi oder anderes zubereiten. Alles wird konzentriert ausgeführt in dem Bemühen ein optimales Produkt zu schaffen, aber ohne Erwartungen auf Erfolg oder Anerkennung (der zweiten Säule), sondern es geht um die Tätigkeit an sich. Die Köche sind im Hier und Jetzt (der fünften Säule).

Im öffentlichen Verkehr ist alles geplant bis zur Vollkommenheit. Die Züge 🚅 sind superpünktlich, die Ein- und Ausstiegsbereiche am Bahnsteig sind markiert, dort reihen sich die Fahrgäste hintereinander ein, um auf den Zug zu warten. Jeder nimmt auf die anderen Rücksicht und begegnet ihnen mit Respekt (der vierten Säule).

Diesen Respekt habe ich auch immer wieder im Umgang mit Japaner*innen erlebt. Überall erfährt man eine freundliche Höflichkeit, eine Bescheidenheit und Zurückhaltung, die die eigene Individualität dem Gemeinsinn unterordnet. Doch manchmal wirkte das auf mich auch „roboterhaft“ und distanziert. Denn Regeln müssen genau eingehalten werden. 

Ein besonderes Erlebnis war das Chichu Art Museum 🎃 auf der Kunstinsel Naoshima. Ein traumhaft gelegenes in die Natur eingebettetes Haus des bekannten Architekten Tandao Ando, der Räume extra für Kunstwerke bedeutender Künstler*innen geschaffen hat, damit sie darin wirken können. Doch das Erleben dieser Kunstwerke war genau vorgeschrieben und wurde von dem Personal exakt eingefordert. Das Ausziehen der Schuhe, das zwingende Tragen von Pantoffeln, das Ausrichten der Schuhe für das Wiederanziehen, das Warten zum Betreten der Räume in Zweierreihen, die Begrenzung der Besucher*innen im Raum, das Verbot zu sprechen. 

Klingt erstmal befremdlich und war es auch, doch in der Rückschau ist es ein einmaliges Kunsterlebnis geblieben, geteilt mit wenigen Menschen, trotz eines hohen Besucheraufkommens, in Stille. Das gibt es nur in Japan!

Ja und auch die „Freude an den kleinen Dingen“ (der vierten Säule) konnte ich beobachten. Die leckeren und liebevoll gefüllten Bentoboxen 🍱, die es an jedem größeren Bahnhof gibt und die man mit in den Zug nehmen kann, die Kimonos👘, die Japaner*innen ausleihen, um diesen dann beim Besuch eines bedeutenden Tempels oder einer anderen Sehenswürdigkeit zu tragen und natürlich dann mit kindlicher Freude viele Fotos zu machen. Oder Automaten, die Plastikkugeln verkaufen, die verschiedene Figuren oder Ähnliches aus der „Manga Welt“ (Comics) enthalten. 

Meine Erkenntnis nach dieser Reise: Die Lebenskunst des Ikigai hat es trotz der deutlich veränderten Bedingungen der Neuzeit, in die moderne Welt der japanischen Dienstleistungsgesellschaft geschafft. Doch wird „Ikigai“ anders gelebt, als ich es mir vorgestellt hatte.

Was hat das mit mir gemacht?

Den Perfektionismus zu erleben, war auf der einen Seite faszinierend und bereichernd – gerade bei der Bahn oder beim Essen – auf der anderen Seite aber auch befremdlich, da Flexibilität eigentlich nicht möglich ist. Die freundliche Achtsamkeit gegenüber anderen macht das Reisen zwar sehr angenehm, doch es entsteht ein Abstand, der schwer einen richtigen Kontakt entstehen lässt. Es bleibt immer eine leichte Distanz.

Und der unermessliche Konsum in den vielen Shopping Malls will nicht so richtig zu „Ikigai“ passen. Das ist irritierend und ist vielleicht auch der Preis des Wohlstandes und der Verwestlichung. Doch das ist nur meine Interpretation, denn was in den Japaner*innen wirklich vorgeht, blieb mir verschlossen.

Doch insgesamt können wir, meine ich, doch einiges von der japanischen Lebensart lernen, das auch der Yogaphilosophie sehr nahe ist. 

  • Sich nicht immer so wichtig zu nehmen, auch die anderen und ihre Bedürfnisse mehr zu sehen, mehr Rücksicht zu nehmen. 
  • Erwartungen loszulassen und mehr anzunehmen, was ist, sich aber trotzdem anzustrengen für die Sache, nicht für die Anerkennung und den Erfolg.
  • Die kleinen Dinge um uns herum wahrnehmen und sich daran freuen.  
  • Nicht immer in die Zukunft schauen, sondern mehr im Hier und Jetzt leben. 

Dafür musst du nicht nach Japan 🎌 fahren, denn du kannst das auch alles auf der Matte 🧘🏻‍♀️üben. Fang doch gleich damit an.

Wenn du eigene Erfahrungen in Japan gemacht hast, die du vielleicht mit mir und anderen teilen möchtest, würde ich mich über ein Feedback freuen.

Und wenn du wieder Lust auf einen Workshop Positive Aging Yoga hast, dann komm doch am 

21.Januar 2024 von 13 – 16 Uhr ins YogaBee, München-Westend, Heimeranstr. 49

ありがとうございました (Vielen Dank) 🙏

Deine Sabine

Möchtest du die japanische Lebenskunst besser kennenlernen, dann kann ich dir folgendes Buch empfehlen:

Ken Mogi, IKIGAI, Die japanische Lebenskunst, Dumont, 2021

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1 Response
  1. Liebe Sabine, danke für diesen wunderschönen Artikel über deine Japanreise und Ikigai. Ich war noch nie in Japan, aber unser Sohn hat eine Japanerin geheiratet und wir hatten viele Japaner zu Gast. Mir ging es auch wie dir: Es war sehr angenehm mit ihnen, denn alle waren immer sehr höflich, aber es blieb immer eine Distanz, weil man letztlich nicht wusste, was sie wirklich fühlen und denken. In unserem Projekt „Musik und Bilder“ ist der Fotograf Japaner und es ist mit ihm auch immer spannend… Ein Beispiel dafür habe ich mal kurz aufgeschrieben: https://www.siegfriedmarxandfriends.de/gedanken#1055932657
    Die Beschäftigung mit der japanischen Kultur empfinde ich als faszinierend und bereichernd. Und man wird immer wieder Überraschendes und Fremdes/Befremdliches entdecken. Ich fand z.B. auch die Liebe der Japaner zu teils Jahrhunderte alten Gedichten (Wakas) berührend. Ikigai ist sicherlich für uns „Westliche“ eine wertvolle Inspirationsquelle, wie du ja auch ganz anregend beschrieben hast. Alles Gute weiterhin und viele herzliche Grüße aus Nürnberg von

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