Interesse und Neugier – Die Kunst, wirklich zuzuhören

🌟 Vor ein paar Tagen war ich auf einer besonderen Feier – dem 60-jährigen Kennenlernen eines befreundeten Paares. Man kann sich vorstellen, wer dort eingeladen war: Freundinnen und Weggefährtinnen, fast alle deutlich über 70 Jahre alt, fast alle inzwischen im sogenannten Ruhestand.
Und so waren die Gespräche nicht mehr geprägt von der sonst üblichen Frage „Was machst du?“, sondern von Erzählungen über Reisen, Enkelkinder, Krankheiten oder Erinnerungen aus der Vergangenheit.

Mit großer Zuneigung wurde der Tag des Kennenlernens des Paares noch einmal lebendig – liebevoll und wertschätzend, besonders weil die Frau des Paares bereits verstorben ist. Es war eine fröhliche Runde, die dankbar war, zusammen zu sein. Schön war zu spüren, wie die Gäste Zufriedenheit ausstrahlten, die gemeinsame Zeit genossen und sich in den Erinnerungen wieder jung fühlten. Faszinierend, wie unser Gehirn das möglich macht – dass wir durch Erinnerungen positive Gefühle erneut erleben können.

Doch trotz der Herzlichkeit fiel mir etwas auf: Jede und jeder erzählte nur von sich. Es wurden kaum Fragen gestellt. So entstand kein echtes Gespräch, keine wirkliche Verbindung. Sie waren sich durch die langjährige Freundschaft vertraut – und doch fern, weil das Interesse am Gegenüber fehlte.

Für mich, rund 15 Jahre jünger, war das herausfordernd zu beobachten. Ich fragte mich: Wie wird mein Leben in 10, 15 oder 20 Jahren aussehen? Werde ich dann auch nur noch über Reisen, Enkelkinder, Krankheiten und die Vergangenheit sprechen? Oder gelingt es mir, meine Neugier und mein Interesse am Leben anderer Menschen zu bewahren?

Noch fordere ich mich selbst heraus – durch mein Engagement im Umwelt- und Naturschutz und mein Projekt „Positive Aging Yoga“. Das verbindet mich mit anderen, auch jüngeren Menschen, und gibt mir Struktur und Sinn. Doch was, wenn das irgendwann nicht mehr geht?

Natürlich können wir uns nicht auf alles vorbereiten – das Leben geschieht selten so, wie wir es planen. Das ist keine Altersfrage. Wichtig ist, die Momente zu genießen, so wie sie kommen – wie die Menschen an diesem Abend. Und gleichzeitig offen zu bleiben: interessiert an anderen, neugierig auf das Leben um uns herum.

Interesse und Neugier haben viel mit Aufmerksamkeit zu tun – mit der Fähigkeit, den Blick bewusst auf jemanden oder etwas zu richten. In unserer Zeit werden wir überflutet von digitalen Angeboten, Social Media, Streamingportalen und inzwischen auch durch KI – alles zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Das ist bequem und manchmal auch in Ordnung. Doch wir verlieren dabei zunehmend die Fähigkeit, echte soziale Verbindungen zu knüpfen – nach denen wir uns doch so sehr sehnen.

➡️ Der Autor Tobias Hürter beschreibt das in seinem Artikel „Das Geschenk der Aufmerksamkeit“ treffend:

„Man kann Stunden auf einer Party verbringen, sich mit anderen Gästen unterhalten – ohne jemals wirklich etwas gefragt zu werden, ohne je echte Aufmerksamkeit zu erfahren oder selbst welche entgegenzubringen. Alle warten nur darauf, wieder selbst reden zu können.“

Wir alle wollen gesehen werden – so wie die Menschen an diesem Abend.
Doch um selbst gesehen zu werden, müssen wir auch die Menschen um uns herum sehen und ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Nur so entsteht Verbindung. Das bedeutet, ihnen wirklich zuzuhören und Fragen zu stellen.

Der amerikanische Journalist David Brooks nennt Menschen, die das können, „illuminators“ – Erheller: Menschen, die durch ihre Zuwendung andere zum Leuchten bringen. Das Gegenteil sind die „diminishers“ – Kleinmacher, die so auf sich fixiert sind, dass sie anderen das Gefühl geben, bedeutungslos zu sein. Sie wollen selbst leuchten, indem sie andere verdunkeln.

Vielleicht bist du schon beiden begegnet – Erhellern und Kleinmachern. Natürlich gibt es Grenzen des Zuhörens, wenn vom Gegenüber keine Resonanz kommt. Dann darfst du dich auch wieder zurückziehen. Aber ein Versuch lohnt sich immer:


💟 Frag Menschen, wie es ihnen wirklich geht – und hör ihnen wirklich zu.

🗣️ Eine kleine Übung für eine Woche

Wähle eine Person – Freund, Kollegin oder Familienmitglied – und stelle drei offene Fragen.
Zum Beispiel:

  • „Was hat dich in letzter Zeit nachdenklich gemacht oder überrascht?“
  • „Worauf freust du dich in der nächsten Zeit – groß oder klein, egal was?“

Regel: Du darfst danach nicht sofort von dir erzählen, sondern nur nachfragen – etwa: „Echt? Wie war das?“

Du wirst sehen: Solche Fragen öffnen das Gespräch – und machen es tiefer, ehrlicher und lebendiger.
 
Deine Sabine